Kompletter Yamaha CS-80 im Orgel-Gehäuse?
20. Juni 2009
Die Yamaha E-75 Konsole in ihrer vollen Pracht
Heimorgel! Wer bei diesem Gedanken nicht schreiend aufgesprungen ist, sondern sogar den Link zum vorliegenden Bericht angeklickt hat, ahnt vielleicht die Intention dieses Artikels …
Richtig, Mambo-Kurt und Volksmusik lassen wir jetzt mal außer Acht. Wir tauchen ein in die Klangästhetik der goldenen Heimorgelzeit des letzten Jahrhunderts, als der Begriff Sampling noch ausschließlich der Betriebswirtschaft zugeordnet wurde. Mit einem zum Teil immensen Elektronikaufwand wurden natürliche Orchesterinstrumente nachgeahmt. Die Resultate provozieren zwar heute nur noch ein breites Grinsen, aber beim zweiten Hinhören entdeckt man doch eine ganz eigenständige Klangwelt. Setzt man diese Instrumente bewusst nicht als Nachahmer von Akkordeon, Banjo & Co ein, so kann man sich von diesem Analog-Sound lange nicht mehr losreißen. Natürlich kommt noch der Reiz von zwei Keyboards in einer ergonomisch optimalen Anordnung hinzu, und unten bei den Füßen ist ja auch noch etwas, was mächtig brummt.
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Zur Eröffnung unserer neuen Vintage-Orgel-Serie „Velvet Box“ möchte ich zunächst die Yamaha E-75 vorstellen und das aus folgendem Grund: Die E-75 war Yamahas letztes großes Analogmodell, welches mit ihren verwandten Modellen in den Jahren 1977 bis 1981 gebaut wurde. In dieses Modell wurde alles verbaut, was gut und teuer, oder besser gesagt, für über 50.000 DM gerade noch vermarktbar war. Danach brach bei Yamaha das digitale FM-Zeitalter mit den bekannten „Nebenwirkungen“ ein.
Aber noch ein Aspekt dürfte den Synthetisten in uns interessieren, ist es doch die famose CS-80 Technologie, die in diese Orgelmodellreihe verbaut wurde! Aber dazu später mehr.
Äußeres der Electone E-75
Schweres, gediegenes Möbel! Die drei Herren, die sie mir reingetragen haben, meinten „gar nicht so schwer“ und humpelten davon. Der Grund: massives, dickes Holz, 5 Lautsprecher, viel Metall. Sehr sauber und für die Ewigkeit gebaut. Das war zu den Zeiten, als Total Quality Management schon längst Einzug bei Yamaha gehalten hat.
Zwei große Keyboards mit je 5 Oktaven und einem 25-tönigen Pedal machen eine stattliche Vollorgel aus. Unten in der Konsole hört man ein echtes Leslie schaufeln. Soweit ich weiß, ist das auch die letzte Yamaha-Modellreihe mit mechanischem Original(!)-Leslie.
Obwohl ich nicht gerade klein bin, scheint mir die Sitzbank derart tief gebaut, dass man so ehrfürchtig und begierig an der Orgel sitzt, wie ein Kleinkind an einem vollen Geburtstagstisch. Jeder Klangparameter hat einen eigenen Knopf, und von den Knöpfen gibt es reichlich.
Technik wie beim Yamaha CS-80
Diese Orgelgeneration verwendet keine TOS/Divider-Technologie mehr, bei der aus einer hohen Grundfrequenz alle Grundtöne einer Orgel auseinander dividiert werden. Stattdessen ging man den Weg, 11 bzw. 15 gleichartige Module einzusetzen, die jeweils monophon den Klang einer einzelnen Taste generieren. Somit ist das Instrument 11- (Flutes, Strings) bzw. 15-fach (Synthesizer) polyphon.
Es war zu der Zeit, als die Allen Organ Company ein Patent erhielt, um mittels Digital-Sampling Orgelklänge wiederzugeben. Yamaha konnte diese naheliegende Technologie deshalb lange nicht einsetzen; erst zu Zeiten des AWM2 war dieser Streitpunkt beigelegt. Interessant ist deshalb, welchen Weg Yamaha damals für „digitale“ Oszillatoren gehen musste. Yamaha nannte diese Technologie „Pulsed Analog Synthesis System“ (PASS). Die einzelnen Teiltone der Flötenregister sind das Ergebnis von Custom-ICs, welche eine Art Wavetable implementieren. Die Festlegung der einzelnen Tonfrequenzen läuft digital, die Analogwerte werden jedoch aus diskreten Widerstandsmatrizen in den Chips ausgelesen. Es gibt je nach Tonhöhe sogar unterschiedliche „Waves“, so dass in den höheren Lagen Aliasfehler vermieden werden. Diese Chips haben noch eine weitere Besonderheit: Durch einen weiteren Steuereingang lässt sich ein zweiter Oszillator aktivieren, der gegenüber dem ersten verstimmt werden kann. Das wirkt sich bei den Flutes etwas befremdlich aus, beim Synthesizer kommt man dadurch jedoch an den klassischen „Dual-VCO“-Effekt. Dieser Effekt fehlt übrigens bei den kleineren Electone-Modellen.
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Mit den Celeste Tabs lassen sich in 6 getrennten Sektionen eine zweite Generatoreinheit aktivieren und verstimmen
Die Oszillatoren für den Synthesizer-Part verwenden also die gleiche Technik wie die Flutes, es werden nur andere Chips mit anderen Wellenformen eingesetzt. Die Filter und VCAs sind ansonsten die Gleichen wie beim Synthesizer-Schlachtschiff CS80.
Die dritte Klangsektion des E-75 erzeugt Chöre und Strings. Dahinter verbergen sich zwei große Yamaha-ICs auf zwei großen Leiterplatten, die eine eigenständige Tonerzeugung darstellen. Deren Audioausgänge werden aufwändig gefiltert und landen in einer Chorus-Schaltung. Die einzelnen Fußlagen sind bei Bedarf auch alle gleichzeitig aktivierbar und erzeugen einen ordentlichen Klangteppich. Diese Sektion ist beim Vorgängermodell E-70 noch nicht enthalten.
Besonderheit der E-75: Vocal und String Ensemble
Die Sounds der Yamaha E-75 im Detail
Flutes
Die Flute-Register sind am Hammond-Vorbild angelehnt, das Obermanual ist 9-, das Untermanual 7- und das Pedal 3-chörig. Diese Regler lassen eine kontinuierliche Lautstärkeregelung zu und rasten zusätzlich spürbar in vier Positionen leicht ein – man kann sich daran gewöhnen.
Haptik pur: Jede Menge Regler als Ersatz für die Hammond-Zugriegel.
Auch Perkussion auf drei Fußlagen ist möglich, und wenn der Keyklick stört, der übrigens ganz natürlich durch das Schaltungsdesign entsteht, der kann einen Soft-Attack aktivieren. Durch das interne (sogar in der Geschwindigkeit regelbare) Leslie geschleift, erzeugt das einen guten Hammond Grundsound. Die Wellenformen sind wie das Hammond-Vorbild keine reinen Sinusschwingungen. Im Vergleich zu einer echten Hammond-B3 klingt es erwartungsgemäß sehr brav, mir fehlt etwas das Schmatzen und Verzerren. Dennoch hat man damit einen guten Orgel-Grundsound, der die Synthesizersektion stützen kann. Wer ein externes Leslie hat: Eine passende Leslie-Buchse ist hinten auch herausgeführt.
Versteckte Schublade mit vielen Minireglern, um drei Presets zu programmieren.
Synthesizer
Das ist der eigentliche Clou dieser Orgel. Seit derfindige Flametopfred in youtube gezeigt hat, dass sich in den Orgeln der E-70 Serie ein verkappter CS80 verbirgt, gab es im Netz interessante Diskussionen darüber, und auch ich habe mich davon anstecken lassen. Und es stimmt, man hat es mit einem Wolf im Schafspelz, einem CS80 mit 3 Keyboards zu tun. Der Benutzer sieht davon allerdings nicht viel, sind doch alle Parameter fest in Orchester-Presets verdrahtet. Einzig die Filterfrequenz und die Oktavlagen der beider DCOs (zwischen 16´-2´) lassen sich einstellen.
Es sind im Ganzen 2 mal 15 Stimmen, wovon eine dem Pedal zugeordnet ist. Jede Stimme hat 2 DCOs mit Sägezahn, Rechteck und 25% Puls. Durch die digitale Steuerung sind die Oszillatoren absolut phasenstarr, bringt man den Detune-Regler auf Null, verschwindet jegliche Schwebung und es klingt wie ein einzelner Oszillator. Das ist der zweite Unterschied zum CS80, also keine Analogoszillatoren mit Stimmungsproblemen, sondern es wurden die o.g. Wavetable-ICs eingesetzt. Nachteilig ist, dass die Pulsweite nicht mehr regelbar ist. 25% Pulsweite klingt halt nur nach Farfisa-E-Piano, was damals aber im Orgelmarkt der Hit war.
Harmlose Synthesizer-Presets, hier für das Obermanual, lassen nichts Böses ahnen
Jede Stimme hat separate, seriell geschaltete Tiefpass- und Hochpass-VCFs mit regelbarer Resonanz und eigenen Hüllkurven. Aber halt! Der CS80 hat doch vier davon? Kann die E-Serie auch: den Synthesizer des Untermanuals an das Obermanual koppeln, ein DCO-Pärchen wird damit ausgeblendet und es erklingen 4 Filter pro Stimme. Und hier kann man schon nach Herzenslust die Presets miteinander kombinieren. Aber zu einem Ersatz zum CS80 fehlt leider doch noch etwas wie Noise, Ringmodulator, LFOs und viele Regler.
Doch es kann einem geholfen werden, wenn Lötkolben und Lupe vorhanden sind. Die Synthese-Parameter sind nämlich alle spannungsgesteuert und schaltungstechnisch zugänglich. Ich war deshalb so frei, meine Orgel etwas zu modifizieren, indem ich zusätzliche Potis angebracht habe und mit diesen Kontaktstellen verbunden habe. Ein zusätzlicher LFO fand auch noch Platz im Gehäuse. Und schon zwitschert, kreischt, zerrt und wummert diese Wohnzimmerorgel, dass es nur so eine Freude ist.
Auch folgendes hat nicht jeder Synthesizer: Touch Vibrato und VCF-Steuerung durch den Fußschweller. Unter Ersterem verbirgt sich eine laterale Tastensensorik oder auf Deutsch: Man kann mit den Fingern ein Vibrato wie auf einer Geige aus dem Ärmel schütteln. Wenn wir schon bei den Spielhilfen sind: Es gibt da auch noch einen herunterklappbaren Kniehebel, der die Presets im Obermanual mit einer Beinbewegung blitzschnell deaktiviert und auf die manuelle Registrierung umschaltet. Yamaha spricht im Benutzerhandbuch von Ersatz eines dritten Manuals. Das funktioniert auch ganz gut, wenn man die etwas ungewöhnliche Beinbewegung übt. Wem auch sonst die Beine zu schwer werden, der kann auch den Basssynthesizer des Pedals auf das Untermanual koppeln und erhält damit 4 DCOs und 2 Filterpärchen für mächtig knallige Bässe in der linken Hand.
Unikat: Oberste Reihe mit zusätzlichen Reglern für LFO, Wellenform, VCF, ADSR, VCA.
Special Effects
In einer echten Heimorgel dürfen natürlich Grüße aus Hawai nicht fehlen, die man mit dem Fußschweller abfeuert. Leider geht dieser Pitchbend einen Halbton nach unten, nach oben wäre mir das zum Solieren wesentlich lieber gewesen. Ebenfalls fehlen darf nicht der Arpeggiator und der Mandolineneffekt. Letzterer repetiert einen Tastenanschlag mit einstellbarer Rate, im Grunde wird die Hüllkurve in einen Loop-Modus versetzt.
Mit dem Fußschweller lässt sich zusätzlich der VCF steuern und ein weiteres WahWah-Filter ist auf den Flutes anwendbar, wozu das auch immer gut ist.
Die Chorus-Einheit ist wieder etwas Besonderes. Einen derart breiten und cremigen Sound habe ich noch aus keinem Digitaleffektgerät herausgeholt. Auch der Synthesizer profitiert durch diesen Effekt, gleichfalls lässt er sich durch das Leslie schleusen, was auch nicht alltäglich ist.
Begleitautomatik
Was wäre eine Heimorgel ohne Begleitautomatik? Ein Musikinstrument, aus dem der stolze, aber ungeübte Familienvater kein Erfolgserlebnis herausholt, bzw. seine Kinder noch zu jung für die Musikschule sind. Aber abgesehen davon, diese Drum-Maschine ist leider aus heutiger Sicht vollkommen uninteressant. Die einzelnen Sounds sind akzeptabel, aber die Patterns, wenn auch kombinierbar, sind schlichtweg langweilig. Sie wurden damals offensichtlich noch von den Yamaha-Technikern selber programmiert.
Der Harmoniespeicher des Untermanuals erzeugt mit einem Gating-Effekt aus der Drum-Sektion tolle Klänge. Jedoch merkt sich der Speicher nur die Töne der Einfinger-Dur/Moll-Automatik, nicht jedoch für eigene Akkord-Kreationen. Nothing is perfect …
Die Yamaha E-75 on YouTube
in einer Synth-Session:
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